Oft kommt ein familiärer Pflegefall ganz plötzlich und ohne Vorwarnung. Ein Unfall, eine Erkrankung, eine Operation – es gibt viele Gründe, aus denen ein Familienmitglied pflegebedürftig werden kann. Bis dahin bestimmten noch Arbeit, Familie und Freizeitaktivitäten Ihren Alltag. Doch plötzlich steht ein ganz anderes Thema im Mittelpunkt.
Achtung: Der Artikel dient lediglich der Information und ersetzt keine rechtliche Beratung.
Wir unterstützen Sie! Unser Pflegeguide zeigt Ihnen Schritt für Schritt, was bei einem plötzlichen Pflegefall wichtig ist, welche Maßnahmen Sie zuerst einleiten sollten und wie Sie alle nötigen Anträge, Hilfsmittel und Unterstützer finden. Die wichtigsten Punkte im Überblick:
Autor: Prof. Dr. Martin Przewloka
Zuletzt bearbeitet am 2.02.2023 von: Bettina Morich (Redakteurin)
Der erste Schritt besteht immer in der Einschätzung der Situation. Benötigt Ihr Angehöriger jetzt sofort Ihre Hilfe, oder wurde dieser auf Grund einer Krankheit oder eines Unfalls in einer Klinik untergebracht? Wann kommt Ihr Angehöriger zurück ins eigene Zuhause und bei welchen Dingen wird er sich dort noch selbst versorgen können? Wie hoch ist der voraussichtliche Pflegeaufwand? Besteht Aussicht auf Besserung oder Verschlechterung der Situation? Um überhaupt einschätzen zu können, wie groß der Pflegeaufwand und wie zeitintensiv die kommende Organisation werden wird, ist es essenziell, zu allererst den Pflegebedarf zu erfassen.
Im Zentrum steht dabei die Frage, welche körperlichen und geistigen Einschränkungen entstanden sind und bei welchen täglichen Aufgaben die pflegebedürftige Person ab sofort Unterstützung benötigt. Es macht einen großen Unterschied, ob lediglich beim täglichen Spaziergang Gesellschaft geleistet wird, mehrmals täglich kleinere Pflegetätigkeiten anfallen oder ob eine 24-Stunden-Pflege benötigt wird. Erst wenn Sie wissen wie hoch der Pflegebedarf ist, können Sie eine geeignete Pflegeform auswählen.
Um eine professionelle Einschätzung zum Pflegebedarf zu erhalten, schreiben Sie Ihrer Krankenkasse eine formlose E-Mail (oder rufen Sie einfach an), mit dem Wunsch einer kurzfristigen Begutachtung. Daraufhin wird sich ein Gutachter des MD (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) mit Ihnen in Verbindung setzen und einen Termin vereinbaren. Bei diesem Termin wird der Pflegegrad der betroffenen Person festgelegt, welcher einerseits die Beeinträchtigung der Selbstständigkeit klären, andererseits die Höhe der Leistungen der Pflegeversicherung bestimmen soll. Auch wenn bereits ein Pflegegrad vorhanden ist, sollte bei einer Verschlechterung der Situation eine neue Begutachtung beantragt werden.
Auch die behandelnen Ärzte können eine erste Einschätzung geben. Gerade, wenn der Zustand des Patienten sich noch ändern kann (beispielsweise nach einem Unfall, wenn durch eine Reha Fortschritte erzielt werden können, oder wenn eine Krankheit eine fortschreitende Verschlechterung bedeuten kann), kann dieser Ihnen erste Anhaltspunkte geben, was auf Sie zukommt, noch bevor der MD vor Ort war.
In einer heiklen Situation wie dieser ist guter Rat kostenfrei! Zum Glück gibt es zahlreiche Möglichkeiten, sich rund um das Thema Pflege zu informieren. Ob im Internet, beim Besuch einer Beratungsstelle oder durch ein Telefonat – viele Institutionen helfen Ihnen in Ihrer Situation durch eine professionelle und kostenfreie Beratung. Nutzen Sie diese Möglichkeit, denn das geschulte Personal weiß fast auf jede Frage eine Antwort und kennt die Abläufe bei einem plötzlichen Pflegefall besser als jeder Laie. Die wichtigsten Beratungsstellen sind:
Es ist durchaus ratsam, mehrere Beratungsstellen zu nutzen und von den jeweiligen Schwerpunkten der einzelnen Institutionen zu profitieren. Grundsätzlich gilt: Fragen kostet nichts! Und wer sich mit der Thematik ausreichend beschäftigt, der verliert auch schnell das Gefühl der Hilfslosigkeit. Denn gerade dann, wenn ein Angehöriger auf Ihre Hilfe angewiesen ist, ist es wichtig, dass Sie den Überblick behalten, um ihm oder ihr eine Stütze sein zu können.
Haben Sie sich ausreichend informiert und wissen nun, welcher Pflegeaufwand zu erwarten ist, dann gilt es, eine passende Form der Pflege zu finden. In Deutschland werden rund zwei Drittel aller Pflegebedürftigen im eigenen Zuhause gepflegt. Die Pflege im eigenen Zuhause kann entweder durch einen ambulanten Pflegedienst erfolgen, oder durch die private Pflege durch Angehörige. Mischformen sind ebenfalls gängig und in zahlreichen Varianten möglich.
Kontaktieren Sie uns auch gerne über unsere kostenlose Service-Hotline unter 0800 122 273 0 – Wir helfen Ihnen einen passenden Anbieter in Ihrer Nähe zu finden und stehen Ihnen bei Frage zur Seite. Kosten entstehen dabei für Sie nicht, da wir über Beiträge von Pflegedienstleistern und Sanitätshäusern finanziert werden.
Auch eine 24-Stunden-Pflege (in vielen Fällen durch ausländisches Pflegepersonal) ist eine Variante, die immer häufiger genutzt wird. Voraussetzung für die Pflege in den eigenen vier Wänden ist jedoch eine geeignete häusliche Situation. So könnte ein Badumbau oder der Einbau eines Treppenlifts nötig sein, um die Wohnsituation altersgerecht und barrierearm zu gestalten. Auch sollte bei Demenz darauf geachtet werden, dass die Wohnung sicher eingerichtet ist. Zudem sollte nicht unterschätzt werden, wie viel Zeit und Energie eine private Pflege kosten kann. Zwar ist es möglich, eine sogenannte Pflegezeit zu beantragen, um für einen gewissen Zeitraum von der Arbeit freigestellt zu werden, allerdings eignet sich dieses Konzept nicht für eine dauerhafte private Pflege.
Im Gegensatz zur Pflege im eigenen Zuhause, ist bei der stationären Pflege der Umzug in eine spezielle Pflegeeinrichtung nötig. Die Auswahl ist groß, denn neben dem klassischen Altersheim gibt es z.B. auch noch das betreute Wohnen, Service-Wohnen und luxuriöse Seniorenresidenzen. Der große Vorteil ist, dass dort rund um die Uhr eine professionelle Pflege gewährleistet werden kann und die Angehörigen komplett entlastet werden. In der Regel handelt es sich bei einem Umzug in eine stationäre Einrichtung jedoch um die „letzte Wahl“, denn oft wird ein solcher Ortswechsel von den Pflegebedürftigen strikt abgelehnt.
Auch eine teilstationäre Lösung ist möglich, bei der die pflegebedürftige Person tagsüber oder nachts in eine stationäre Einrichtung gebracht wird, den Rest der Zeit jedoch im eigenen Zuhause verbringt. Neben Tages- und Nachtpflege können hier die sogenannten tagesstrukturierenden Maßnahmen genutzt werden. Tagesstrukturierende Maßnahmen helfen dabei, pflegebedürftigen Personen nach wie vor Freizeitaktivitäten und ein soziales Umfeld bieten zu können, denn der Kontakt nach außen kommt bei der ambulanten Pflege häufig zu kurz.
Egal für welche Pflegeform Sie sich entscheiden, es gibt in jedem Fall Unterstützung von der Pflegekasse – vorausgesetzt die pflegebedürftige Person hat einen gültigen Pflegegrad. Grundsätzlich wird zwischen Geld- und Sachleistungen unterschieden. Diese werden meist als Pflegegeld oder Pflegesachleistungen erbracht. Das Pflegegeld wird nur an die ehrenamtlich pflegenden Angehörigen im Rahmen einer privaten ambulanten Pflege gezahlt, wohingegen mit den Pflegesachleistungen beispielsweise Dienstleister oder stationäre Einrichtungen bezahlt werden.
Wie hoch die jeweiligen Beträge sind, hängt maßgeblich vom Pflegegrad ab. Es gibt jedoch auch Leistungen, die bei jedem Pflegegrad gleich sind. So zum Beispiel eine Pauschale von 40 € im Monat, die für Pflegehilfsmittel vorgesehen ist - Mit dieser Pauschale kann etwa eine monatliche Hilfsmittelbox finanziert werden. Auch wohnumfeldverbessernde Maßnahmen stehen bei jedem Pflegegrad zur Verfügung. Hier wird ein barrierefreier Umbau der eigenen vier Wände (z.B. ein altengerechter Badumbau oder die Installation eines Treppenlifts) mit bis zu 4.000 € gefördert.
Pflegegrad 1 | Pflegegrad 2 | Pflegegrad 3 | Pflegegrad 4 | Pflegegrad 5 | |
Pflegegeld | 316€ | 545€ | 728€ | 901€ | |
Pflegesachleistung | 724€ | 1363€ | 1693€ | 2095€ | |
Entlastungsbetrag | 125€ | 125€ | 125€ | 125€ | 125€ |
Kurzzeitpflege | 1774€ | 1774€ | 1774€ | 1774€ | 1774€ |
Verhinderungspflege | 1612 | 1612€ | 1612€ | 1612€ | 1612€ |
Stationäre Pflege | 770 | 1.262 | 1.775 | 2.005 | |
Hilfsmittel zum Verbrauch | 40€ | 40€ | 40€ | 40€ | 40€ |
Wohngruppenzuschlag | 214€ | 214€ | 214€ | 214€ | 214€ |
*Geldleistungen (ambulant) beziehen sich auf das Pflegegeld. Sachleistungen (ambulant) beziehen sich auf die Pflegesachleistungen. Diese können etwa genutzt werden, um ambulante Dienstleister zu bezahlen. Der Entlastungsbetrag wird unabhängig von anderen Leistungen erbracht und ist zweckgebunden (z.B. für Beratungsgespräche). Der Leistungsbetrag (vollstationär) gilt für den Aufenthalt in einer stationären oder einer teilstationären Pflege.
Achtung: Sie müssen nicht mehr unbegrenzt für den Unterhalt Ihrer Angehörigen aufkommen. Erst, wenn Kinder über 100.000 Euro im Jahr verdienen werden Sie Unterhaltspflichtig.
Oft sind Pflegehilfsmittel eine gute Lösung, um der beeinträchtigten Person den Alltag zu erleichtern. Die gute Nachricht: Wenn das Hilfsmittel wirklich benötigt wird, dann wird es in der Regel auch von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Grundsätzlich zahlt die Krankenkasse das Standard-Modell, so dass nur die Rezeptgebühren in Höhe von 5 – 10 € selbst gezahlt werden müssen. Mit einem Kassenrezept können Sie aber auch höherwertige Hilfsmittel für einen erheblich günstigeren Preis erhalten. Informieren Sie sich also rechtzeitig, welches Modell wirklich benötigt wird.
oft hilfreiche Hilfsmittel sind:
Die beste Anlaufstelle für den Kauf von Hilfsmitteln (mit und ohne Rezept) ist das Sanitätshaus. Für das Fachpersonal sind die Prozesse und bürokratischen Abläufe mit der Krankenkasse Tagesgeschäft.
Eine ungern gestellte, aber sehr wichtige Frage ist, ob die pflegebedürftige Person in ihrer aktuellen Lage noch eigene Entscheidungen treffen kann. In vielen Fällen – insbesondere bei Demenz – ist dies nicht mehr der Fall und es ist ratsam, sich möglichst schnell um benötigte Vollmachten und Verfügungen zu kümmern. Die wichtigsten Dokumente in diesem Zusammenhang sind: Vorsorgevollmacht, Betreuungsvollmacht und Patientenverfügung.
Die Vorsorgevollmacht bemächtigt dazu, wichtige Entscheidungen im Namen der pflegebedürftigen Person zu treffen. Auch Verträge, Bankgeschäfte etc. können von der bevollmächtigten Person abgeschlossen werden. Es gibt verschiedene Bereiche, für die eine Vorsorgevollmacht ausgesprochen werden kann. Der große Vorteil einer Vorsorgevollmacht ist, dass bis ins kleinste Detail festgelegt werden kann, welche Bereiche abgedeckt werden sollen. Die Vorsorgevollmacht tritt in der Regel dann in Kraft, wenn die pflegebedürftige Person die jeweiligen Aufgaben nicht mehr selbstständig erledigen kann.
Bei einer Betreuungsvollmacht wird festgelegt, wer die Betreuung der pflegebedürftigen Person übernimmt. Unter Betreuung versteht man im Allgemeinen die gesetzliche Vertretung einer Person. Die Hauptaufgaben als Betreuer umfassen dabei unter anderem die Verwaltung des Vermögens, die Regelung der Wohnsituation, Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung sowie das Regeln des Schriftverkehrs. Im Gegensatz zur Vorsorgevollmacht, tritt die Betreuungsvollmacht nicht sofort in Kraft. Hier entscheidet das Betreuungsgericht darüber, wer die Betreuung übernimmt.
Eine Patientenverfügung ermöglicht es im Vorhinein festzulegen, welche Behandlungsweisen und Maßnahmen im Falle eines schweren Unfalls oder einer schweren Erkrankung getroffen werden sollen. Die Patientenverfügung ist insbesondere für den Fall vorgesehen, wenn die pflegebedürftige Person nicht mehr ansprechbar ist oder aus anderen Gründen nicht in der Lage ist, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Auch über das Abschalten von lebenserhaltenden Maßnahmen kann in einer Patientenverfügung entschieden werden.
Haben Sie sich um die oben genannten Punkte gekümmert, ist das Wichtigste erst einmal geschafft. Jetzt kommt es darauf an eine Routine zu finden, mit der Sie, die pflegebedürftige Person und alle anderen Beteiligten gut zurechtkommen. Natürlich ist dies bei der privaten Pflege im eigenen Zuhause von noch viel größerer Bedeutung, als es bei einer stationären Pflege der Fall ist. Dennoch ist es wichtig, dass alle Beteiligten die neue Situation verstehen, akzeptieren und als neuen Alltag begreifen – egal auf welche Pflegeform die Wahl gefallen ist. Es wird nicht mehr so sein wie zuvor, aber die Situation ist dennoch schaffbar. Insbesondere dann, wenn alle an einem Strang ziehen!
Wir wünschen viel Erfolg.
Bei einem plötzlichen Pflegefall gibt es insgesamt sieben Schritte, die Sie befolgen sollten. 1. Pflegegrad ermitteln, 2. Eine Pflegeberatung einholen, 3. Pflegeform (stationär oder ambulant) auswählen, 4. Pflegekasse kontaktieren, 5. Pflegehilfsmittel beantragen, 6. Rechtliches klären (Vollmachten und Verfügungen) und 7. Eine Routine finden.
Ein plötzlicher Pflegefall tritt völlig unerwartet und ohne Vorwarnung ein. Auslöser können eine Erkrankung, ein Unfall oder eine Operation sein.
Bei einem plötzlichen Pflegefall können Sie sich jederzeit an eine Beratungsstelle wenden. Kostenlose Pflegeberatung finden Sie bei Ihrer Krankenkasse, beim Arzt und/oder in der Klinik, bei einem Pflegestützpunkt, beim Sozialamt, beim Bürgertelefon zur Krankenversicherung und beim Bürgertelefon der Pflegeversicherung. Auch 1A Care kann Sie informieren.
Bei einem plötzlichen Pflegefall sollte immer als erstes der Pflegegrad bestimmt werden. Ab Pflegegrad 2 haben Sie Anspruch auf Pflegefeld und Pflegesachleistungen. Ab Pflegegrad 1 bekommen Sie einen Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro monatlich. Auch weitere Leistungen wie beispielsweise Kurzzeitpflege oder Verhinderungspflege können Sie in Anspruch nehmen.
In manchen Fällen ist der Pflegebedürftige nicht mehr in der Lage eigene Entscheidungen zu fällen. In diesem Fall ist es ratsam schnellstmöglich eine Vorsorgevollmacht, Betreuungsvollmacht und Patientenverfügung zu beantragen.
Pflegestufen werden durch ein Gutachten des MDK (Medizinischen Dienst der Krankenversicherung) vergeben. Dabei wird auf die Beeinträchtigung der Selbstständigkeit geschaut und die Leistungen der Pflegeversicherung wird bestimmt.
Bei einem plötzlichen Pflegefall muss geschaut werden, ob eine ambulante Pflege möglich ist oder eine stationäre Pflege. Zu den Dienstleistungen in der ambulanten Pflege zählt beispielsweise die 24h Betreuung oder eine stundenweise Betreuung. Zur stationären Pflege zählt die Unterbringung in einem Altersheim, betreuten Wohnen oder Service-Wohnen.
Um der beeinträchtigen Person den Alltag zu erleichtern, können Hilfsmittel beantragt werden. Dazu zählen Mobilitätshilfen, Pflegemöbel, Alltagshilfen, Hygiene- und Badhilfen oder spezielle Hilfsmittel wie Messgeräte.
Prof. Dr. Martin Przewloka hat im eigenen familiären Umfeld umfangreiche Erfahrungen mit dem Thema Pflege gesammelt und teilt sein Wissen über verschiedene Kanäle mit anderen pflegenden Angehörigen. Durch seinen Universitätsabschluss in Medizinischer Physik (Universität Kaiserslautern) versteht er zudem die gesundheitlichen Hintergründe der unterschiedlichen Erkrankungen und kann sich in die Lage der Pflegebedürftigen hineinversetzen.